JUNGE WELT

Berlin, 13.3.1997

Klär-Werk

Zum Tode von Martin Kippenberger

von Christoph Tannert


„Als Künstler bist du so eine Riesenfallgrube" hat er gesagt - außerdem, daß es nötig sei, ein „Superkitsch-Modell" zu haben und gefährlich, sich von Ausstellungsmachern „die Arschbacke eincremen zu lassen". Martin Kippenberger wußte instinktsicher besser Bescheid als andere und er hat nie versucht, eine dumme Nummer in ein Kunstwerk umzupolieren. Eine dumme Nummer blieb eine dumme Nummer - und wegen dieser entwaffnenden Authentizität konnte man manches Stück de facto als Klär-Werk verstehen.

Kippenbergers Herumeiern zwischen Material und Materie war Programm. Viele seiner Arbeiten lassen sich über den Daumen gepeilt als zwar etwas ruppige und aus bekannten Langweiler-Linien ausscherende Werke, aber immerhin als Werke mit einer Objektbezüglichkeit interpretieren, die sich als auf- und ausstellbar erweist und die den Verkauf nicht unmöglich macht. Diesbezüglich war er kein Schwieriger.

Entscheidender ist der mikroskopische Verfahrenscharakter seiner Kunst. Von Zeichnung zu Zeichnung, Bild zu Bild, Objekt zu Objekt stellte Kippenberger seine Optik scharf auf intellektuelle Besitzstände, nicht etwa nur auf ein Wunschbild der Selbstverwirlichung, die Vollendung der Form oder auf irgendwelche Symboluniversen.

Das rief Bußprediger zuhauf auf den Plan. Kippenberger entkam ihnen sowie dem Konsens und polarisierte immer wieder neu. Mit der häufig bei ihm durchschlagenden Geste auftrumpfender Großartigkeit hielt er sich genauso die ungebetenen Claqueure vom Leib und die witzelnden Kleingeister in Schach. Lediglich seinen Schülern und einem Kreis von Vertrauten werden die Unterscheidungskriterien im Innern jener gemeinsamen Undurchsichtigkeit geläufig gewesen sein.

Kippenbergers Sprechen über Kunst und die sie vernetzenden Systeme eilte seinen Werken voraus und veränderte selbstverständlich den Blickwinkel auf den entsprechenden Gegenstand. Aber: den eigenen Wortschwall mit Wortlosigkeit auszustechen, eine „Riesenantenne" für Sinnlichkeiten (einschließlich Schnulz und Pathos) zu haben, das war eine seiner Stärken. Intelligente Askese im antiintellektuellen Affekt niederzulachen, daraus machte er sich oft genug einen Jux. Das brachte ihm den Ruf ein, ein abgefeimter Zyniker zu sein. Dabei riß er nur auf, was verschlossen bleiben sollte. Er selbst sprach von sich als einem „Zwangsbeglückten".

Scharfäugig und unmaskiert hat er Fußangeln ausgelegt und mit Sätzen wie „Das, was ich als Kind machen sollte oder machen wollte, das hab ich gemacht. (...) Ich baue kein 18tes oder 118tes Iglu auf der documenta auf. (...) Hab nicht die Kraft dazu. So hartgesotten bin ich nicht" in die nahe Zukunft projiziert, daß sein Zweitwohnsitz der Zweifel bleiben soll.

Der Künstler Martin Kippenberger ist tot. Er starb am 7. März in einem Wiener Krankenhaus. 1953 in Dortmund geboren, vollendete er am 25. Feburar sein 44. Lebensjahr.

©Christoph Tannert 1997