DER TAGESSPIEGEL

Berlin, 16.3.1997

Wahrheit ist Arbeit in
Geschichte


Die Akademie ehrt Astrid Klein und Martin Kippenberger
mit dem Käthe-Kollwitz-Preis


von Barbara Straka


Wenn sich heute das Akademiepublikum versammelt und Jörn Merkert und Rolf Szymanski zur Laudatio anheben, wird einer der Preisträger nicht anwesend sein - Martin Kippenberger. Er starb, kaum 44jährig, am 7. März in Wien. Kippenberger war zeit seines Lebens unbeschreiblich und wird es noch eine Weile bleiben. Er zählt zu denen, die nicht feierlich in den Olymp aufgenommen werden, weil sie der Nachwelt ohne Strahlemann-Lächeln die Zähne zeigen.

Kippenbergers multiples Ich eines „artist of irreverence" (Roberta Smith, Nachruf in der „New York Times") entzog sich immer wieder dem Schubladendenken der Kunstgeschichte, deren Kapitel der 70er bis 90er Jahre er maßgeblich mitbestimmt hat. Seine Wurzeln lagen irgendwo in der Unschärferelation zwischen Fluxus und Neodada, Neoexpressionismus und Konzeptkunst, kurz, im „mixed style" der Postmoderne, ohne dabei der Beliebigkeit zu verfallen. Kippenberger war eine Romanfigur mit sieben Leben wie bei Hermann Hesse, eine tragische Figur, exzessiv und herausfordernd, im Anstößigen anstoßend. In der Literatur der nihilistischen Radikalität Rolf-Dieter Brinkmanns vergleichbar, war Kippenberger ausgestattet mit zynischer Vernunft und schneidender Kompromißlosigkeit im Beobachten seiner Zeit. Ein mephistophelischer Geist, der stets verneint, ein agent provocateur, der es schaffte, Kurzschlüsse erhellender Erkenntnis im Gehirn zu erzeugen, nachhaltig wie ein guter Treppenwitz.

1978 zieht Kippenberger von Hamburg nach Berlin und richtet mit seiner späteren Galeristin Gisela Capitain „Kippenbergers Büro" ein, eine Ideenschmiede, Talentbörse und Ausstellungsinstanz der etwas anderen Art. Er managt das S.O.36, gründet die Punk-Band „Grugas", nimmt seine erste Platte auf, „Luxus", gibt die Zeitschrift „sehr gut - very good" heraus, feiert 1979 sich selbst mit dem ersten Katalog „Vom Eindruck zum Ausdruck - ¼ Jahrhundert Kippenberger", organisiert seine erste Tournee und debütiert 1981 gleichzeitig in der NGBK, in der Petersen Galerie, in der Paris Bar und im Café Einstein als Maler, Entertainer, Performer unter dem Titel „Durch die Pubertät zum Erfolg". 1982 zeigt er noch in einer leeren Neuköllner Mietwohnung, gefaked als „Museum für Kultur", sein „Capri bei Nacht", aber da ist Kippenberger schon nur noch zu Besuch, denn er lebt, wenig seßhaft, inzwischen in Köln, behält aber einen Koffer in Berlin - in der Paris Bar.

Bereits zu Beginn der 80er Jahre ist er an vorderster Front der deutschen Ausstellungsszene, die sich um eine junge Künstler- und Galerienszene in Hamburg, Berlin, Köln, München und Stuttgart neu formiert: Ina Barfuss, Thomas Wachweger, Werner Büttner, Albert und Markus Oehlen, Georg Herold sind dabei, alte Freunde aus Hamburger Zeiten um Sigmar Polke, andere Strömuingen stoßen hinzu, vertreten durch die „Mülheimer Freiheit" und die Berliner „Heftige Malerei". Später trennen sich die Strömungen, Kollegen gehen eigene Wege, doch Kippenberger schwimmt von nun an erfolgreich gegen den Strich. Er malt nach Zeitungs- und Illustriertenbildern, nach eigenen Polaroids, er läßt kein Genre und kein Thema beim Decouvrieren der alltäglichen Verdummung in einer Kultur der Normalität aus. Schlag auf Schlag folgen Museums- und Galerieausstellungen im In- und Ausland. Publikationen reihen sich aneinander, als wollte sich ihr Autor einen Platz im Guinnes-Buch der Rekorde noch zu Lebezeiten sichern.

Quantitativer Höhepunkt dürfte seine 1989 für die Schweizer Kunstzeitschrift „Parkett" herausgegebene Edition von 80 (!) Unikat-Heften bleiben. So atemlos geht es weiter bis zuletzt. Die Realisierung seiner Beiträge für die diesjährige documenta und für die „Skulpturen Projekte Münster" hat Martin Kippenberger nicht mehr erlebt. Dieser kreative Output muß ihn unendliche Energien gekostet haben, sein Outing war ein schillerndes Rollenspiel: enfant terrible und Lehrerfigur, Dilettant und Genie, Weltbürger und Bürgerschreck, Moralist und Nihilist, vor allem aber ein unbequemer, kritischer, emphatischer Zeitgenosse. Sein Motto war „Wahrheit ist Arbeit", seine Strategie die „Strategie der Affirmation" (Bazon Brock), sein Ziel, die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit zu entstellen. Eine retrospektive Kippenberger-Schau in Potsdam 1993, allein aus der Sammlung Grässlin bestückt, hieß anspielungsreich „Das 2. Sein".

Dahinter stand ein Paradoxon, das Kippenberger, inzwischen auch Lehrer an der Frankfurter Städel-Schule, bis zuletzt zu beschäftigen schien: einerseits an der Unsterblichkeit seiner eigenen Botschaften mittels Globalisierung seiner Kunst zu arbeiten, andererseits mittels Totalverschleiß die Kunst zum Verschwinden zu bringen und den Künstler überflüssig zu machen. Dabei war Kunst für ihn existentiell und sinnstiftend, aber als Produzent sah er sich am liebsten in der Rolle des Vertreters im grauen Straßenanzug: hausieren gehen mit einer Ware, die keiner braucht, vor verschlossenen Türen stehen, unauffällig aufdringlich sein, ständig im Risiko, rausgeschmissen zu werden. „Einer von Euch, unter Euch, mit Euch".

Astrid Klein, Kollwitz-Preistägerin 1997, prägte in ganz anderer Weise mit ihrer Kunst die rheinische Szene der 70er und 80er Jahre. Mit ihren photokünstlerischen Arbeiten hat sie sich eine der exponiertesten Positionen in der zeitgenössischen deutschen Kunst erobert. Astrid Klein wurden zahlreiche Stipendien und Ehrungen zugesprochen. Seit 1986 mit einer Gastprofessur an der HfbK in Hamburg tätig, erhielt Astrid Klein 1993 eine Professur in Leipzig. Sie lebt und arbeitet in Köln. Astrid Klein und Martin Kippenberger haben etwa soviel gemeinsam wie Mephisto und Mnemosyne, doch galt auch sie als Vertreterin einer Kritischen Kunst nach 1968. Hatte sich die kritische Kunst der 70er Jahre noch in radikaler Medienkritik ergangen, wurde in der Rezeption Benjamins dem beliebig reproduzierbaren Medium Photographie jegliche Objektivität und Wertschätzung abgesprochen, arbeiteten Künstler wie Jürgen Klauke, Katharina Sieverding, Klaus Mettig, Rudolf Bonvie und Astrid Klein seit Beginn der 80er Jahre an der Wiedergewinnung der Aura des photographischen Bildes.

Astrid Klein knüpft an die experimentellen photographischen Techniken der 20er Jahre an: Sandwich-Verfahren, Dopelbelichtung, Photogramm, Rasterung, Photozeichnung und -montage. In ihren wandfüllenden, suggestiven, schwarz-weißen Photoarbeiten und -installationen montiert Astrid Klein Versatzstücke von Medienphotos und andere gefundene Ausgangsmaterialien, Struktur- und Textfragmente, Symbole und Zeichen zu eindringlichen Bildern. Dabei gelingt ihr nicht nur eine symbolische Verdichtung, sondern die Erschließung neuer Bedeutungskontexte. Schatten, Chiffren, Archetypen werden zu Spuren eines kollektiven Gedächtnisses, das Erinnerungsarbeit einfordert. Eine ihrer eindrucksvollsten frühen Arbeiten war „Die Richter" (1981), serielle Porträts des berüchtigten Nazi-Richters Freisler. Vor allem aus den Werken der 80er Jahre sprechen Angst und Bedrohung einer Welt, die sich „Eingeebnet, eingeordnet, begradigt" (1984) erneut auf eine Ausblendung der Geschichte und Gleichschaltung der Individuen zubewegt, die sich im „Geschlossenen System" (1983) befinden, als „Staubfresser" (1984) ihr zum Scheitern verurteiltes Leben fristen. Nie gewinnen sie konkrete Gestalt, nur als Abdruck ihrer selbst, Raster, Schablone oder Lichtspur sind sie zu erahnen wie die Spuren der Ausgelöschten in Hiroshima.

Astrid Klein wirft ihren „Blick hinter den Schatten" (Noemi Smolik). Sie zeigt Chiffren der Existenz. Ihr Werk wirkt als Echolot der Erinnerung, indem es Signale aus dem kollektiven Unbewußten heraufsendet, die sich zu einem eindringlilchen Memento formieren.

Barbara Straka ist Leiterin des Hauses am Waldsee.

© Barbara Straka 1997