Kölner Stadtanzeiger
Köln, 10.3.1997

Die Vertreibung der Mittelmäßigkeit

Zum Tod des Kölner Künstlers Martin Kippenberger
Immerzu Arbeit bis zur Selbstaufgabe


von Rainer Speck

Manchmal verdient der Tod eine Ohrfeige: Wenn er sich angemeldet hat und doch zu früh erscheint. Martin Kippenberger starb am Wochenende in Wien an einer Krankheit, die er schon vor einiger Zeit auf einer seiner berühmten Hotelzeichnungen skiziert hatte, wo Eier die Leberparenchymzelle behelligen. Sie steht am Anfang seines letzten Buches „Der Eiermann und seine Ausleger", das zur gleichnamigen noch andauernden Ausstellung im Museum Abteiberg in Mönchengladbach erschien.

Der Eiermann ist tot, seine Ausleger leben. Er war einer der letzten Künstler, die sich Ohren und Hoden abschnitten, um der Kunst willen, in die es sich aufopfernd durch einen immerfort betriebenen Akt der Selbstzerstörung einzutreiben galt. Voyeure, Akricen und Hofschranzen wurden mit einbezogen, aber letztlich verschont, weil er sie liebte - trotz zynischer Attacken, trotz sarkastischer Vereinnahmuing. Es war ein letzter großer Hofstaat, der dem Künstler huldigte, der angezogen und abgestoßen wurde durch Schmeichelei und Verewigung im Familienalbum seiner Geburtstagsfeste, Eröffnungsfeiern und Hochzeiten. Wer fotografiert an seinem Grab?

Heitere Anfänge
Der 1953 in Dortmund als Martin Kippenberger geborene Künstler erinnerte sich ein Leben lang an seine frühen und heiteren Versuche zu malen, tat dies so gekonnt wie unbeholfen und wurde immer mit dem gefeiert, was einmal nicht ausgestellt war: Ständige Verlegenheit der Betrachter, deren Zufriedenheit eher dem früher Gesehenen galt und deren unbeholfene Reaktion auf das Neue dem Künstler oft Anlaß war zum nächsten Werk.

Das „Büro Kippenberger" - so nannte er Atelier und Kontakadresse - war für viele Künstler Lehrstätte eines Kunstprofessors „avant la lettre".
In einer immerfort durch die Umgebung, durch die Umstände, durch die Unkultur bewirkten Metamorphose sah man ihn in der Larve aller Kritisierten und Verachteten - und diese Rolle verlangte einen künstlerischen Einsatz bis zur Selbstaufgabe. Tief im Witz seines sich vermeintlich Ans-Kreuz-Nageln lag eine Moral, die die Fremdwerdung dieses Begriffes in unserer Gesellschaft kommentierte und ihr Verschwinden durch Appell an die Künstlerische Verantwortung zu verhindern suchte.
Mittels blasphemischer Tautologien wurde er ein Hl. Sebastian, der sich die auf ihn abgeschossenen Pfeile genüßlich herauszog, um sie sich an anderer Stelle wieder einzusetzen.

Daß er in seine ambivalente künstlerische Tätigkeit ein dauerndes Scheitern mit einkalkulierte und dessen Protokollieren titelgebend in seine Werke aufnahm, zeigt ein Blick auf die Liste seiner Ausstellungen und seiner Bildkommentare. „Letzte Versuche, die Öffentlichkeit endlich auf mich aufmerksam zu machen" oder „Leiden warum, leiden wozu?" oder „The Happy-End of Kafkas Amerika".

Was andere stolz zu Lebzeiten Retrospektive hätten nennen lassen, dem gab er den Titel "Respektive 1997 bis 1976 - eine große Ausstellung, die er am 31. Januar 1997 in Genf im Rollstuhl eröffnete. Was er anpackte, geriet zu einer in Form und Inhalt immer überraschenden Paraphrasierung dessen, was Kultur dem Bourgeois oder dem Connaisseur bedeutet. Dieses unverhohlen von ihm in einen Topf geworfene Gegensatzpaar war ihm Stimulanz bis zum Tod auf der Leinwand. Selbst was heute gemalt wurde, mußte morgen zerstört im Container landen - aber nicht unfotografiert, unregistriert, unkommentiert, unpubliziert - wie eine große Inszenierung im Kölner Kunstverein vorführte.

Martin K. war all das, was andere nur teilweise sein konnten. Es läßt sich in einer (noch) ohne jede Wertung angelegten Kaskade überblicken: Maler, Zeichner, Bildhauer, Musiker, Dichter, Organisator, Schriftsteller, Büchermacher, Redner, Entertainer, Sammler, Don Juan.... Er mußte alles sein, um jede seiner obsessiv betriebenen Tätigkeiten glaubwürdig zu machen und alles besser zu gestalten als die anderen. Seine Werke waren als ironisch inszenierte Manifestationen nun schon seit 20 Jahren zu sehen in musealen Ausstellungen zwischen Köln und Paris, Tokio und New York, Madrid und Rotterdam. Ikonoklastisch betrieb er die Vertreibung der Mittelmäßigkeit mit dem Erfolg des Einsamen. mit seinem Tod tritt ein, was er sich immer gewünscht hatte: „Das Ende der Avantgarde".

Reiner Speck ist Kölner Mediziner, Kunstsammler und Begründer der Marcel-Proust-Gesellschaft. Die „Sammlung Speck" wurde im vergangenen Herbst im Museum Ludwig ausgestellt, in Kürze ist sie in Wien zu sehen. Zur Sammlung gehören auch Werke von Martin Kippenberger.

Copyright: Dr. Reiner Speck 1997