FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

Frankfurt, 10.3.1997

Er war gute Laune

Zum Tod des Künstlers
Martin Kippenberger


von Rudolf Schmitz







„Also", sprach Martin Kippenberger einst, „sagen wir mal, wir wären Intelligenz, hahaha, ... und wir verteilen die Verwirrung. Aber im Grunde meinen wir gar nicht Verwirrung, sondern wir meinen schon die Wahrheit. Aber wir müssen sie für uns selber so verschlüsseln, weil wir nicht angreifbar sein dürfen, in keiner Form."



Einen Nachruf auf den gerade vierundvierzigjährigen Martin Kippenberger schreiben zu müssen, ist traurig und absurd. Gerade dieser Künstler, der an die Tatsache einer „Nachwelt" nie so recht glauben wollte und doch alles daransetzte, ihr erhalten zu bleiben, hätte zweifellos dafür die bessere Tonart und die schärferen Worte gefunden.

Manche seiner Interviews geben antizipierende Kostproben: „Und ich arbeite daran, daß die Leute sagen können: „Kippenberger war gute Laune." Eigentlich sollte 1997 das entscheidende Jahr dieses Künstlers werden: große Ausstellungen in Mönchengladbach und Genf, Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises, Teilnahme an der Skulpturenausstellung von Münster und der zehnten Kasseler documenta. Seine Entwürfe für die entsprechenden U-Bahn-Eingänge lagen in der Schublade. Kippenberger hatte sie in verschiedenen Kontinenten bereits realisiert: als ironische Ausweise globaler Reichweite und Unterwanderungsabsicht.

Daß er mit dem Trinken hätte aufhören müssen, wußte Martin Kippenberger seit Jahren. Daß er es nicht tat, ist nur zu gut verständlich. Der Alkohol war ihm Treibstoff zur Weltumrundung, zur omnipotenten Gesellschaftsfähigkeit und alleinunterhaltenden Regentschaft. Für die Einladungskarte zur Genfer Ausstellung hatte sich Kippenberger von seiner jüngst angetrauten Frau Elfie Semotan in der Pose des Leidensmannes fotografiern lassen - künstlerische Verwertung der eigenen Person bis zuletzt. Das Ende kam plötzlich: In der Nacht zum Samstag erlag Martin Kippenberger in einem Wiener Krankenhaus seinem Leberleiden.

Anfang der neunziger Jahre war Martin Kippenberger auf der Höhe seiner Popularität. In einer Dozentur an der Frankfurter Städelschule vermittelte er den Studenten, was seiner Meinung nach zum Künstlersein gehört: unsentimentaler Duchblick, rückhaltlose Selbstdarstellung, scharfes Hinsehen satt dumpfem Machen, antimetaphysisches Verhältnis zum Selbst und zum Betrieb.

Obwohl er der Meinung war, daß man als Künstler „geboren" wird, nahm Kippenberger das Lehren ernst. Überhaupt samelte er gern Gefolgschaft, um Ideen auszuhecken und zu testen, um auch die fragwürdigste Kneipenpointe noch in sein Werk zu integrieren. Kein Zweifel, Kippenberger verstand es, zu verdrängen und auszuteilen, konnte aber im Gegenzug auch beschwichtigen oder umwerfend charmant sein.

Schon in den frühen Hamburger und Berliner Jahren hatte er „Büros" und subkulturelle Treffs organisiert, nahm den Kunstvertrieb und -erwerb in die eigene Hand. Zusammen mit Albert Oehlen und Werner Büttner drehte er die modische neoexpressive Ekstase durch den Wolf des forcierten Dilettantismus, torpedierte den Glauben an die „dumme Scheinwelt" des Malens und gab das für seine Laufbahn entscheidende Motto aus: „Peinlichkeit kennt keine Grenzen".

Die Beerbung des Trivialitätenverwerters Sigmar Polke läßt sich nicht leugnen. Scharf allerdings achtete Kippenberger - der auch gerne malen ließ - darauf, daß der schlechte Geschmack nicht doch wieder Dignität bekam. Er wollte kein Künstler „für Zahnärzte" werden. Seine Bilder, Skulpturen, Installationen, die er in letzter Zeit zu immer neuen thematischen Inszenierungen zusammenfaßte, wahrten die Qualität einer latenten Unverdaulichkeit. Verausgabung war für den schlagfertigen Künstler die Normalität, auch wenn er einschränkte, sich „doch nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden" zu können.

Der massenmedialen Weltaufbereitung mit ihrer Ex-und-hopp-Mentalität zeigte sich Kippenberger nicht nur ebenbürtig, sondern weit überlegen. Die in seine Werke einmontierten Parolen und bizarren Selbstbezichtigungen ohrfeigten die Betrachter und torpedierten sich zugleich selbst: „Politically incorrect and proud of it". Im erkenntiskritischen Ruinieren von Weihestimmung und in einer Bejahung des Verschleißtempos gegenwärtiger Kunst als Beweis ihrer Selbstbestimmung und Vitalität lag Kippenbergers große Leistung. Sie wird fehlen.

© RUDOLF SCHMITZ 1997