Magazin der Berliner Zeitung

Berlin, 17.3.1997

Das stimmt ja alles nicht

Der Künstler Martin Kippenberger
und seine Freunde in der Paris-Bar


von Andreas Schäfer


Martin Kippenberger, 1953 geboren und am 7. März 1997 gestorben, Maler, Performer, Bildhauer und Vorzeigearschloch der wilden, lauten, westdeutschen Männerkunst, war eine Legende, die am Sonntag postum zusammen mit der Künstlerin Astrid Klein mit dem Käthe-Kollwitz-Preis ausgezeichnet wurde). Die Legende sagt, daß Kippenberger tagsüber auf den Kunstmoden surfte und mit bösem Lachen jedes Denkklischee der „fettärschigen Sozialdemokraten" zum Platzen brachte. Zum Beispiel mit einer Pseudo-Käthe-Kollwitz-Zeichnung eines abgemergelten Afrikaners mit dem Spruch „Neger haben einen längeren - stimmt nicht!" (1982) oder mit der Serie „Krieg böse" von 1983. Da steht ein niedlicher Weihnachtsmann auf einem riesigen Panzer und hält rügend seinen Finger hoch. Die Legende sagt auch, daß Kippenberger jede Nacht den Pubertären nachgab, der Frauen grundsätzlich nur „Fut" nannte, das Saufen als Kampfsport betrieb und einen unterwürfigen Künstlerhofstaat hinter sich herzog.

Die noch florierende Paris-Bar in der Kantstraße ist auch eine Legende, die legendär wurde, weil seit Jahrzehnten in ihr ungezählte Film- und Kunstlegenden ein- und ausgehen, unter anderem auch Martin Kippenberger, dessen Bilder schon seit 1979 in der Bar hängen und mit deren Wirt Michel Würthle Kippenberger seit über fünfzehn Jahren befreundet war. Man braucht also nur in die Paris-Bar zu gehen, Michel Würthle zu fragen und schon öffnet und klärt sich darüber hinaus eine ganz andere Legende, nämlich die Legende vom West-Berlin der 80er Jahre. Aber so einfach ist das nicht. Wenn man nämlich abends, ohne einen Tisch bestellt zu haben, die Tür der nur halb vollen Paris-Bar öffnet, steht man vor Michel Würthle, der ein dezentes Tweedjackett trägt, einen Zettel mit den Tischreservierungen vor sich hat und fragt: „Sie wünschen?" Über Martin Kippenberger und die Paris-Bar sprechen. Worauf Michel Würthle wie in einem Reflex mit der Hand zum Türrahmen greift, sehr bestimmt den Weg versperrt, aber auch sehr freundlich sagt: „Kommen Sie morgen wieder."

Am nächsten Nachmittag ist die Bar leer. Nur ein Tisch ist besetzt. Drei Geschäftsmänner in Dunkelblau und eine Frau in einem grellroten Jackett. Hinter der Bar steht ein Mann und poliert Gläser. Michel Würthle kommt mit einem eingepackten Bild aus einem Hinterzimmer. Er packt das Bild aus und stellte es auf die Ablage über der kunstledernen Sitzbank. Auf dem Bild sind Oberkörper und Kopf eines Mannes zu sehen. „Eines der letzten Kippenberger-Selbstporträts. Ich war gerade bei der Hängung in der Akademie der Künste, und als alter Freund durfte ich mir eins aussuchen." Würthle tritt einen Schritt zurück, schaut sich das Bild an. Dann bestellt er auf französisch einen Espresso. Wir setzen uns an einen Fenstertisch, und er sagt: „ Ich habe mir überlegt. Es geht ja hier nicht um mich und meine Eitelkeit, sondern nur um den Martin. Da wurde ja so viel Unsinn geschrieben. Von wegen Zynismus und Menschenverachtung und so weiter. Das stimmt ja nicht. Der Martin war ein liebenswerter Mensch. Ich glaube, ich kenne niemanden, der die Menschen so geliebt hat, wie er. Er hat alle geliebt. Männer und Frauen, das war ihm gleich. Er war halt ein Besessener."

Michel Würthle heißt eigentlich Michael. Er hat in Wien Kunst studiert, zog nach Rom, dan durch Afrika, und lebte lange in Paris. Aus Paris kam er 1970 als Michel nach Berlin und eröffnete am Paul-Lincke-Ufer das österrreichische Restaurant „Exil". Dort lernte er Baselitz und Lüpertz kennen, und Ende der siebziger Jahre auch den jungen Kippenberger. „Irgendwann kam er ins Exil. Ich wußte, der macht verrückte Sachen. Aber es war keine Zuneigung auf den ersten Blick. Wir haben gebuckelt und die Haare aufgestellt. Wie im Wildgehege bei den Pavianen. Dann hat Kippenberger das „Kippenberger Büro" gegründet. Ein Auffanglager für Talente. In dieser Fabrik gab es eine Unterabteilung, die hieß das Lederkombinat. Das waren Frauen, die haben Ledersachen im Spät-Hippi-Hopp-Stich genäht. Verkauft wurde natürlích nichts. Später hat er das SO 36 gegründet, um Geld zu verdienen. Einen Club für Undergroundbands. Ich war vielleicht zweimal da zum Absaufen." Inzwischen hat sich die Bar etwas gefüllt. Zwei Schülerinnen sitzen auf der Bank und reden leise. Ein junger, dünner Mann, den man regelmäßig im Schöneberger „Café M" mit einer dicken Sartre-Biographie sehen kann (in der er allerdings nie liest), geht mit einer Schwarzhaarigen einen Stapel Faxe durch. Michel Würthle beachtet niemanden und ist der Mittelpunkt der Bar. Alle wirken nämlich etwas linkisch und hilfos wie auf einer Bühne. Nur Würthle nicht. Das Theatralische und Kokette, das der Paris-Bar seit 1979, als er sie mit Rainald Nohal übernahm, anhaftet, ist ihm schon ganz zur Natur geworden. Die Art wie er Kunstpausen setzt, die Zigarrette im Mundwinkel hängen läßt und auf die verregnete Kanstraße guckt. Alles tatsächlich wie aus einem französischen Film aus einem anderen Jahrzehnt.

Die Paris-Bar existiert seit 1950, anfangs als eher billiges Bistro, in dem ein ehemaliger Kantinenkoch der französischen Armee für ein paar Mark Zwiebelsuppe kochte. Würthle schmiß die maroden Korbstühle raus, verspiegelte die Wände, übernahm das Restpublikum aus Altprofessoren von der TU, brachte die Künstler aus Kreuzberg mit und bestückte die Wände mit Kunst: Erst mal nur mit Kippenberger, später auch mit Bildern von Baselitz, Beuys, Polke, Barfuß und Oehlen. „Ich machte mit Kippenberger einen Deal. Ich bekam einen Zyklus mit Schwarzweißbildern, und er durfte lebenslang frei essen und trinken. Wenn er in Berlin war, war er hier. Aber er war ja oft woanders. Immer unterwegs. Dann kam der Erfolg. Alle zwei Wochen eine Ausstellung. Er war ja getrieben, hat gearbeitet wie blöd und hat keine Ruhe gefunden. Gesoffen hat er nur am Anfang aus Spaß. Später, um schlafen zu können".

In den 80er Jahren hatte auch die Paris-Bar ihren Höhepunkt. Nach den Künstlern kamen die Filmleute. Wenders, Schlöndorff und in Berlinale-Zeiten auch Hollywoodstars. Aber schon Ende der 80er Jahren kamen mehr Geschäftsleute, Touristen und Möchtegernprominente. „Was soll ich zu dem neuen Publikum sagen?" Michel Würthle sieht irgendwie gequält aus.

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür und Rolf Hochhuth kommt hereingestürzt, ein kleines Rollenköfferchen hinter sich herziehend, und sagt sehr laut „Guten Tag", aber kaum einer schaut sich um. Am liebsten, so sieht Hochhuth aus, würde er nochmal rausgehen, noch mal reinkommen und noch mal „Guten Tag" sagen. Aber da sagt Hochhuths rothaarige Begleitung „Essen für zwei Personen", noch lauter als Hochhuth „Guten Tag" gesagt hat, und jetzt drehen sich tatsächlich alle im Lokal um und sehen Hochhuth, der plötzlich zufrieden guckt. Nur Michel Würthle hat sich nicht umgedreht. Das ist das Ignoranzprogramm, denkt man, das zur Paris-Bar gehört wie die rote Neonschrift. Das freilich blitzschnell in ein freundschaftliches Hallo-Rolf-alles-klar?-Programm umkippen kann. Das macht wohl den Erfolg der Paris-Bar aus.

„Jetzt haben wir ja mehr über mich geredet als über den Martin. Ich kann nur sagen, er hat gern gelebt. Er war ja seit einem Jahr verheiratet, hatte einen Hafen gefunden und ist nach Österreich gezogen. Ich werde ihn vermissen, eh klar. Aber den Kitsch muß man vermeiden."

© Andreas Schäfer 1997