Berliner Zeitung

Berlin, 11.3.1997

Abschied mit Radau

Maler, Objektkünstler, Animateur und Selbstdarsteller: Martin Kippenberger ist tot

von Ingeborg Ruthe


Nie kam er dem Kunstpublikum mit Samthandschuhen entgegen. Nun brauchen auch seine Nachrufschreiber keine anzuziehen, den sarkastischen Künstler hätte es ohnehin nur belustigt. Martin Kippenberger war immer für Klartext - in der Kunst wie im Leben. Ohnehin hatte für ihn beides direkt miteinander zu tun. Er hat versucht, den Kunstbegriff zu erweitern: Die Konzepte seiner Arbeiten, die er aus Alltagsfundstücken montierte, mit Sprache und medialen Bildern versah - oder höhnisch verballhornte - lassen das unschwer erkennen. Möglicherweise rückte man diesen Hansdampf in sämtlichen medialen Kunstgassen in seinen wenigen mitbestrittenen deutschen Ausstellungen deswegen immer in die Nähe von Beuys und Polke.

Der in der internationalen Kunstszene für Provokation und Radau gefürchtete und geliebte Maler, Objektkünstler, Animateur, Autor und exzentrische Selbstdarsteller ist tot. Erst 44 Jahre alt, starb der in Dortmund Gebürtige, in Essen Aufgewachsene und in Köln Tätige am Freitag in einer Wiener Klinik an Leberkrebs. Sein exzessiver Lebenswandel war einschlägig bekannt.: Er war ein Workaholic, er trank und rauchte über die Maßen. Daß er mit alledem aber „keine Probleme" habe, da schließlich jedermann irgendwann und irgendwie abstürze, bekannte er in seinem Textbändchen „no problem" 1986. Seine Todsünden haben den Kunst-Eulenspiegel seither noch elf Jahre umgetrieben.

Nun trifft die Nachricht mitten hinein in die Genfer Kippenberger-Retrospektive und in seine große Ausstellung im Mönchengladbacher Abteiberg-Museum, die in Deutschland zu seinem Vermächtnis wird. Kippenberger war mehr im Ausland geschätzt denn im eigenen Land. Die Akademie der Künste zu Berlin-Brandenburg wollte das ändern; er sollte am kommenden Sonntag für sein Gesamtwerk den Käthe-Kollwitz-Preis bekommen. Nun wird die Ehrung postum vollzogen, und postum auch wird sein Beitrag auf der Kasseler documenta X sein. Dann soll die Kunstwelt sehen, was Kenner schon längst sagten: Kippenberger gehört(e) zu den wichtigsten Künstlern der achtziger und neunziger Jahre.

Die Deutschen hat er provoziert, in den USA machte er Furore. Dort gefiel, wie er die Welt der Spießer, der großen wie der kleinen, ironisch bloßlegte, bis die frechsten, lustigsten, schrägsten Bilder herauskamen, die da zu sagen wagten, daß die Welt hohl, die Moral verlogen, die Kunst saturiert und die Sprache bigott sei. Kippenberger war nichts genierlich oder banal genug, um es nicht umzuwerten in bissige Bilder, nichts stillos genug, um es nicht umzukrempeln mit seinem komischen, vor der Kunstgeschichte respektlosen Kauderwelsch - von Pop-art über „Sozialistischen Realismus" bis Informel. Skrupellos schüttelte er Naives und Intellektuelles, Gegenständliches und Abstraktes, Minimalistisches und Pathetisches durcheinander.

Im Potsdamer Kunstspeicher stellte Kippenberger vor zweieinhalb Jahren radikales Sendungsbewußtsein zur Schau. Er zeigte Plakate, auf denen er jedermann nach seiner Lieblingsminderheit fragte. Oder er versah ein Bild, auf dem Zerstörungen dargestellt waren, mit der Anmerkung: „Was könnt denn Ihr dafür?" Unter einem nächsten Motiv, das Neonazis zeigte, kommentierte er hinterhältig: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen!"

Die Mönchengladbacher Ausstellung „ Der Eiermann und seine Ausleger", zugleich ironisch als „Hommage an das Ei" konzipiert, ist Kippenbergers Abrechnung mit dem blasierten Kunstbetrieb, der modernen Werbe- und Informationsgesellschaft und der eigenen paradoxen, ja, schizophrenen Situation: Eigentlich hielt er Ausstellungen für reichlich spießig, starr und überflüssig. Weil er aber selbst tief im Kunstzirkus drinsteckte, inszenierte er mit dieser letzten Ausstellung ein Hohngelächter über sich selbst. Am „Ende der Avantgarden" bleibt dem Künstler nur noch das „Sich bewegen, Weiterlaufen, Mithalten und Durchahlten". Ein sarkastischer Radau.

Copyright: Ingeborg Ruthe 1997