DER TAGESSPIEGEL

Berlin, 11.3.1997

Das letzte Enfant terrible

Eine Pop-Ikone der deutschen Nachkriegskunst: Zum Tod von Martin Kippenberger

VON NICOLA KUHN


Bei einer seiner letzten Ausstellungen in den Vereinigten Staaten reagierte die Kritik zwar reserviert auf seine Werke, feierte ihn aber als das letzte Enfant terrible der Kunstwelt. Mitunter war es umgekehrt. Seine Kunst der feinen Anspielungen wurde goutiert, auf die rüden Provokationen reagiert man enerviert.

Martin Kippenberger hat es schon immer gefallen, Freund wie Feind zu provozieren, sich von niemandem einordnen zu lassen; den Platz zwischen den Stühlen hatte er mit Bedacht gewählt. Ebensowenig mochte er sich auf ein Medium festlegen: er war Maler und Bildhauer, Zeichner und Fotograf, Performer und Musiker, Organisator und Lehrer, Herausgeber und Autor. In allen diesen Bereichen hat Kippenberger eine Aktivität entfaltet, die für etliche Künslerviten gereicht hätte. Kippenberger ist ein Plural, konnte man auch vor drei Jahren im Potsdamer Kunstspeicher feststellen, wo die Sammlung Grässlin ihre umfangreichen Bestände präsentierte. Es gab nicht nur einen Martin Kippenberger, sondern viele.

Die Potsdamer Ausstellung zeigte einen Rückblick auf 25 Jahre seines Schaffens. Das war für Berlin nicht mehr ganz neu, denn schon seine erste Ausstellung Ende der siebziger Jahre in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst trug den selbstbewußten Titel „Ein Vierteljahrhundert Kippenberger", nur daß der Künstler damals selbst erst ein Vierteljahrhunder alt war.

In Berlin begründete der gebürtige Dortmunder auch seinen Ruf als Multitalent und agent provocateur einer saturierten Kulturszene. Studiert hatte er an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste bei Franz Erhard Walther; aus dieser Zeit stammen die Freundschaften mit Ina Barfuss und Thomas Wachweger, mit Werner Büttner und Albert Oehlen. 1978 ging er nach Berlin, um mit Gisela Capitain „Kippenbergers Büro" zu gründen und die Geschäftsführung des legendären Club S.O.36 zu übernehmen. Den „Jungen Wilden" in der Stadt gab er mit seinen „bad paintings" Saures; Jeff Koons zollte er wiederum seine Anerkennung, indem er sich selber mit dem Platz des „Ersten unter den Zweitklassigen" begnügte.

Diese Schnoddrigkeit und eine gewisse Selbstherrlichkeit waren es auch, die Kippenbergers Arbeiten auszeichneten. Dabei war er seinem erwartungshungrigen Publikum, das sich an Kippenbergers frecher Mixtur aus Kitsch, Kunst und Kalauern ergötzte, immer wieder ein Stückchen voraus. In seiner derzeit im Mönchengladbacher Abteibergmuseum laufenden Ausstellung „Der Eiermann und seine Ausleger" sind wieder amüsant-ironische Bildergeschichten zu sehen, diesmal unter so rätselhaften Titeln wie „Deutscher Eierknaller" oder „Eifrau, die man nicht schubladieren darf". Aber die Schau zeigt auch die andere Seite eines vor Wortwitzen, Bildideen, Stegreifaktionen übersprudelnden Künstlers: das „Spiderman-Kabinett". Es ist ein Blick in das Atelier des Künstlers mit Abbildungen zum Thema Drogen und Alkohol an den Wänden - das letzte Residuum, um neue Ideen zu entwickeln. Die Bezeichnung „Spiderman" nimmt Bezug auf Spinnen, die unter Drogen in der Lage sind, ganz andere Netze zu spinnen.

Kippenberger war eben beides: der senisble Zeichner, dessen Spontaneität des Strichs und Ausdrucksfähigkeit der Gestik die Kuratoren begeisterte (seine Notizen auf Hotelbriefbogen waren in Berllin zuletzt auf dem European Art Forum zu sehen), aber auch der Kunstrüpel, dessen handgeschnitzter „Lattengustl", ein gekreuzigter Frosch, nicht im Herrgottswinkel eines Museums, sondern in der Paris-Bar an der Kantstraße landete.

In der Tradition von Duchamp und Dada siedelnd, galt Kippenberger als so etwas wie die Pop-Ikone der deutschen Nachkriegskunst. Getreu diesen Vorbildern war auch die Moral Bestandteil seiner Kunst. Viele zynische Kommentare etwa zu den von ihm abgezeichneten Misereorplakaten („Neger haben einen Längeren. Stimmt nicht." oder „Südländer sind feuriger. Irrtum.") waren nicht nur auf Provokation angelegt, sondern auch ein Versuch, politische Inhalte in den Kunstbetrieb einzuschleusen.

Häufig wurde übersehen, wie ernst es dem Klassenclown der Kunstszene mit diesen Botschaften war. Mit Martin Kippenberger verliert diese Szene in vielerlei Hinsicht eine Instanz. Der Künstler ist am Freitag abend im Alter von 44 Jahren in einem Wiener Krankenhaus verstorben.

Copyright: Nicola Kuhn 1997