Eine dicke Spinne

von Cosima von Bonin und Michael Krebber

Martin Kippenberger (1953-1997) - zwei Nachrufe

Als man Kippenberger kennenlernte und auch später, war er immer mal plötzlich verschwunden, und als er wieder auftauchte, fragte man sich, wo er denn wohl gewesen war. Manchmal bekam man eine Postkarte aus Amerika oder aus Pearl Harbor. Die Postkarte aus Pearl Harbor gibt es noch, aber seitdem Albert Gabriel Briefmarken sammelt, fehlt die Ecke oben rechts mit der Briefmarke. Mit persönlichen Grüßen kamen dann immer häufiger auch offizielle Einladungen zu Ausstellungen und Auftritten. Dann gab es immer wieder diese komischen Brüche, wo er verschwunden war, wie zum Beispiel nach Paris als Dichter (was hat er da eigentlich gemacht?).

Davor hatte er in Berlin die Toiletten in den Lokalen mit dickem Filzstift und verstellter Schrift vollgeschrieben mit »Kippenberger raus aus Berlin« und dies dann noch zerkratzt, weil er sich über die Sprüche so fürchterlich geärgert hat. Ich saß einmal mit Albert Oehlen in einer Nachmittagsvorführung von »Gibbi West Germany« und wir fanden das beide blöd. Später mal fanden wir Kippenbergs Auftritt in dem Film doch ganz gut. Eine ganze Weile war es unklar, ob das ein Künstler war, mit dem man zusammen arbeiten konnte, oder ob man sich eben gegen ihn stellen sollte und ihn ignorieren müßte oder irgend so was. Bis man sich einmal entschied: das ist ein Guter.
Die Geschichten, die einen mißtrauisch machten, waren solche Angeber- und Großkotzgeschichten, Rolex rumschmeißen. Das ist eben die Geschichte gewesen, ob das ein Sprücheklopfer war, schnell was machen und verschwinden. Was dazu kam, von der bildnerischen Seite, was man da sehen wollte, da gab es ja nur das Bild mit dem Witz »Schatz, hier ist mein Superfrühstück«. Das hielt ja dann ein Jahr und danach kamen die Bilder, die der Plakatmaler gemalt hat. Das war auch sowas, was einen verwirrte. Heute wäre das ja normal. Die Gemeinsamkeiten, die dann entdeckt wurden, die kamen erst später, und nicht nur Albert und Markus Oehlen, Büttner und Herold haben sich umorientiert, sondern ja auch Kippenberger.

In Zusammenarbeit entstanden dann Ausstellungen und Kataloge wie die Haferflockensachen (»Capri bei Nacht«, »Orgonkiste bei Nacht«, das Buch »Was könnt Ihr dafür?«, etc.), der Katalog, der einen zum Arzt schickt, »Schwerter zu Zapfhähnen«, der »Geoma«-Plan mit Georg Herold und Albert Oehlens und Kippenbergers Reise nach Rio, aber auch der »Chef der 2. Liga« (von Köln) mit Dokoupil als dem Chef der 1. Liga und »Die Revolution muß verschoben werden — Die Künstler fühlen sich heute schwach« mit Walter Dahn. Das alles fand in den blöden 80er Jahren statt (mit dem Buch »Hunger nach Bildern« und Ausstellungen wie »Die 80er gehören uns« und »Sechs Richtige«).

Mit »Peter« entwickelte er sich zum Einzelkämpfer. Zu dieser Ausstellung möchte ich nicht gerne etwas erklären, denn das kann ich nicht. Das ist gemacht worden von Diedrich Diederichsen in seinem phantastischen Vorwort im »Peter«-Katalog, die ganze Fehlergeschichte, die dabei entstanden ist. Das hat Kippenberger auch gut gefallen und zwar richtig gut gefallen, er hat sich das ja aber auch wie einen zusätzlichen Orden noch angesteckt und auch damit das gemacht, was er eh immer gemacht hat.
Er war eine dicke Spinne, die sich die Dinge, die links und rechts vorbeigeflogen sind, geschnappt hat und noch ein paar mal umgestülpt und damit von dem einen Zimmer in ein anderes gegangen ist, um das da zu verbraten und so hin und her und kreuz und quer. Immer mit neuen Verdauungsgängen und anschließend neuen Geschichten. Das sollte jeder mal versuchen.

Ein bißchen Schmu muß sein: Die »Peter«-Ausstellung und der Katalog haben Kippenberger selber richtig überrascht. Wenn keine Stichworte da waren, hat er sich selber welche ausgedacht. Die Zeiten, in denen er weg war, nutzte er (also), um seine Kreise auszuweiten und mit neuen Kräften und Überraschungen zurückzukehren.

Nach »Peter« waren eine weiterer Höhepunkt die Möbel für Einstellungsgespräche, jeweils ein Tisch und zwei Stühle. Da waren immer besonders komische Dinger an irgendeinen komischen Tisch gerückt worden und eine Nummer drauf gestellt; die Bastelei war weggefallen und davon gab es packenweise großformatige Ektachrome, die wurden gezeigt und herumgereicht. Bei einer sich auflösenden Geburtstagsfeiergesellschaft wurden sie an allen Tischen gegen das morgendliche Licht gehalten. Ein schönes Schauspiel.

Einmal hatte sich Martin Kippenberger vorgenommen, immer bei der Kölner Buchhandlung Bittner Bücher zu kaufen und damit am Café Broadway vorbei nach Hause zu gehen, damit die dort Sitzenden über ihn denken sollten: Da geht sie wieder, die Leseratte. Einmal wollte er eine Reihe von Bildern in den Proportionen des französischen Formats malen. Versehentlich kaufte er 160 x 133 cm.
Wenn ein Künstler stirbt, ändert sich alles, weil der Künstler jetzt nichts mehr ändern kann. Das ist zwar bekannt, aber bei Kippenberger so auffällig, weil so viel da ist (wie zum Bei-spiel Gründung eines Museums für Moderne Kunst auf Syros, einer griechischen Insel, ein weltweites U-Bahnnetz, Gründung eines Kunstvereins in Kassel und nicht zuletzt die Ausstellungen im Mamco in Genf und im Museum Abteiberg in Mönchengladbach), und so viele Leute damit zu tun hatten. Bei dem Fenster, das die Buchhandlung Walther König mit allen Kippenberg-Büchern und -Publikationen eingerichtet hat, ist es so, daß sogar Leute, die damit nichts zu tun hatten, auf einen Schlag wissen müssen, was da einer geleistet hat. Und wir stehen gerne davor und prüfen, welche fehlen und welche wir nicht haben.

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Text von Manfred Hermes
Michael Krebber und Cosima von Bonin

Erschienen in: Spex Nr. 5, Mai 1997