KARLHEINZ SCHMID

KUNSTZEITUNG
Regensburg

Mach's gut, Kippi

Über Martin Kippenberger

Wo anfangen, wo aufhören? Kann man, darf man überhaupt? Lenken Buchstaben, Wörter und Sätze den Blick nicht sofort in die falsche Richtung? Und was ist die richtige Richtung? Die Biographie, die kunsthistorische Einordnung, die Weltlage, die kleine Provokation, Hose runter, die Sieger-Pose, die Laterne für Betrunkene, der Holzpaletten-Entwurf „Verwaltungsgebäude für Müttergenesungswerk in Gütersloh", wohl um 1985 entstanden? Ein Gedächtnis voller Bilder, eine Schublade auf dem Schreibtisch – und doch Sorge, daß etwas fehlt, daß das Wichtigste vergessen wird.

Über Martin Kippenberger, Jahrgang 1953, wie ich selbst, zu schreiben, dachte ich, das müßte doch ein Kinderspiel sein. Da könnte, vertraulich gesagt, Nachruf-Lust aufkommen. Hatten wir doch so manche Nacht oder auch mal morgens, wenn die Müllmänner ihr hydraulisches Handwerk aufnahmen, in Hamburg oder Köln oder sonstwo, die Welt verbessert, allemal gemeinsam die letzte offene Kneipe ausfindig gemacht. Mit allem „Drummidranni", wie er sagte. Später, nach dem allerletzten Wodka und der allerletzten unflätigen Bemerkung, dann artig der Abschied: „Mach's gut, Kippi"; „ja, mach's gut", rief er – und verschwand, hämisch grinsend, rasch um die Ecke. Ein paar warme Schenkel und/oder eine kalte Flasche Schampus lagen für ihn, den Charmeur auf Abruf, schließlich immer irgendwo bereit.

Jetzt, ein paar Tage nach seinem frühen (Leber-)Tod, sitze ich, eher irritiert, vor der Klaviatur des Journalisten und zweifele an meiner Fähigkeit, Texte zu produzieren zu können. Wie schaffen es nur die Kollegen der Tagespresse, derart virtuos den wöchentlichen Promi-Künstler-Tod druckreif zu machen? Vasarely, de Kooning, William Gear, zwischendurch Kippi: the next on, please. Distanz zum Künstler, nix Kneipe, nix gemeinsame Weltverbesserung? „Er war ein schriller, ein schräger Künstler", schreibt Gerhard Charles Rump in der „Welt", und Nicola Kuhn berichtet im Berliner „Tagesspiegel" vom „Klassenclown der Kunstszene", und Rudolf Schmitz setzt, intellektuell kräftig aufgeblasen, in der „FAZ" fort: „Im erkenntnisreichen Ruinieren von Weihestimmung und in einer Bejahung des Verschleißtempos gegenwärtiger Kunst als Beweis ihrer Selbstbestimmung und Vitalität lag Kippenbergers große Leistung."

Selbst der Nachruf seines Sammlers Reiner Speck hätte ihm allenfalls ein freches „Stillgestanden" abgerungen. „Er war einer der letzten Künstler", schrieb Speck im „Kölner Stadt-Anzeiger", „die sich Ohren und Hoden abschnitten, um der Kunst willen, in die es sich aufopfernd durch einen immerfort betriebenen Akt der Selbstzerstörung einzutreiben galt." Allemal mit Hoden kennt sich der Urologe Reiner Speck aus, so will ich ihm natürlich diesbezüglich nicht widersprechen. Aber die Ohren, nein die Ohren, die hätte sich Martin Kippenberger nicht abgeschnitten (diese Nummer hatte schließlich van Gogh bestens inszeniert, und in Sachen Genital soll doch Schwarzkogler, den er bewunderte, einiges vollbracht haben). Nein, Kippenberger, hätte sich von seinen Ohren nicht trennen mögen, auch nicht um der Kunst willen. „Ohne Ohren sieht jeder Kopf aus wie ein Arschgesicht", hätte er nachgesetzt. Er, der Hansdampf, mochte sich niemals reduzieren lassen. Er, der Draufgänger, machte gerne Musik (mit seinen Freunden Günther Förg, Hubert Kiecol und Albert Oehlen, zum Beispiel, 1987 die Langspielplatte „The Golden Kot Quartett"). Er lernte mit 38 sogar das Akkordeonspiel. Er, der Bettenexperte der Nation (siehe Foto-Serie „16 Jahre Betten"), „spielte Karten", wie im Dezember 1996 eine elfköpfige Jury würdigte („Konrad-von-Soest-Preis für Martin Kippenberger").

Er reist, er tanzt, er malt, er säuft, er redet, er schimpft, er kuratiert, er schichtet, er stapelt hoch, tief oder mittel. Er erobert den Raum,. Bevor ihn jene betreten haben, die vor ihm durch die Tür gehen … Halt, schon stimmt die Zeit nicht mehr: „die vor ihm durch die Tür gingen", muß es doch lauten; Vergangenheit, ja Vergangenheit ist angesagt, und wir mögen's nicht glauben, weil uns der Künstler noch so präsent ist, so nah. Zwar fuhr er in Genf und in Mönchengladbach, wo er seine letzten Museumsausstellungen sehen konnte, schon im Rollstuhl vor, doch – typisch Kippi – selbst guten Bekannten erzählte er die Story von der Bandscheibe oder der wilden Sau. Nein, Martin Kippenberger war – trotz seinem Hang zu Österreich und der zwangsläufigen Nähe zum Wiener Aktionisten- und Selbstjustizkreis – kein Mann für das große Selbstmitleid oder gar den „Akt der Selbstzerstörung". Kippenberger wollte leben, bewegen, die Sau rauslassen.

Seine Freunde – etwa die Brüder Oehlen, Werner Büttner, Georg Herold oder Vermittler wie Veit Loers und Christoph Tannert oder die Galeristen Gisela Capitain, Bärbel Grässlin und Max Hetzler oder der Verleger Benedikt Taschen – wissen allesamt, daß es letztlich ein Betriebsunfall war, daß Martin, der Vorarbeiter, einfach allzu viel Öl auf die Lampe gegossen harre. Vor Monaten erst hatte er geheiratet: Elfie Kippenberger-Kochenscheidt, die Witwe des 1992 verstorbenen Künstlerkollegen Kurt Kocherscheidt, der seinen documenta-Beitrag indes noch selbst sehen konnte. Kippenbergers Beiträge für die diesjährige documenta in Kassel und für die Skulpturen-Schau in Münster wird dagegen sein Büroleiter Johannes Wohnseifer fertigstellen. Martin Kippenberger, der 1983 beim „Fiaker-Rennen" den ersten Preis belegte, aber auch Bilder malte, die mit „2. Preis" oder „3. Preis" versehen waren, steht letztlich nicht auf dem Sieger-Podest, um die Hose fallen zu lassen. Dabei hätte wir ihm so sehr gewünscht, daß er im Jahr seiner bislang größten Erfolge (von Kollwitz-Preis in Berlin bis zur Kunst am Leipziger Messe-Bau, von der documenta bis zur mamco-Ausstellung in Genf, die noch bis zum 14. September zu sehen ist) unter uns Brüdern ist, quasi „von Fisch zu Fisch", wie er sagte.

Was bleibt, ist das Werk, sind Fragmente, oft Erinnerungsfetzen. „Der Eiermann", wie er sich zuletzt nannte (Speck liest in diesem Zusammenhang gerne eine seiner Hotel-Zeichnungen vor, „wo Eier die Leberparenchymzell behelligen"), liebte – trotz aller immer wieder erläuterten Abkehr von Regeln und Gewohnheiten – die Wiederholung als zersetzendes Element. Freilich erst auf den zweiten Blick auszumachen. Manchmal auch erst dann, wenn man sich die halbe Kippenberger-Biographie und alle Orte in Erinnerung ruft, die er bespielt hat. In seinem Atelier in St. Georgen stand beispielsweise mal ein Stuhl, ein Eiermuster-Sessel. Mir scheint, solche vermeintlich harmlosen Deko-Strukturen haben den Eiermann weitaus mehr angeregt als Gedanken an den Eierbefall im eigenen Körper. Dabei, logisch, brauche ich nicht zu betonen, daß der Künstler durchaus unter die Oberfläche schaute. Das einzelne Werk dient insofern als Sehhilfe, die eigentliche (Gesamtkunstwerk-)Arbeit müssen wir, die Rezipienten, schon selbst leisten. „Kippenberger leicht gemacht" – heißt sein letzter Museumskatalog. Ein Trost für die Hinterbliebenen. Mach's gut, Kippi. Drummidranni.

Karlheinz Schmid

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