MANFRED HERMES

Miles & More

Wenn die achtziger Jahre dem Kulturprozeß etwas zugefügt haben, dann waren es Deregulierung, Dezentralisierung und Parodie. TV-Humor besteht heute zu 90 Prozent daraus. Aber wenn es im Nachhinein so aussieht, als sei das in der Galerie vorgemacht worden, so kann man wahrscheinlich nicht ernsthaft »ich heize durch pupen« für »Kentucky Schreit Ficken« verantwortlich machen. Vielleicht aber doch. Das sind so die Fragen, die schlagartig zum Teil von Geschichtsschreibung werden, wenn einer stirbt, den man mit ihnen in Verbindungen bringen kann.

Martin Kippenbergers Arbeiten haben mein Gefühl »80er Jahre« stark mitgeprägt. Die sympathische Kommunistin, Neid und Gier das ist mein Bier, ihr seid jetzt meine Novizen, männerbündlerische Ensembles, in der einflußreichen Galerie am großen Rad drehen, Uli Knecht (Alden, die Anzüge), Ford Capri, Rioreisen, das gehört nun zum festen Bestand deutscher Kunstmythen. Umso mehr, als sich durch das Auftreten als Gruppe daraus ein Universum bildete, das sich gut vermarkten ließ und auch in diesem Haus offene Türen einrannte.

Kippenberger trat in die Fußstapfen des neuen Großkünstlertums, wirkte aber immer als besserer Nachschlag der »Neuen Wilden«. Das hatte vor allem mit dem Dada seiner parodistischen Einarbeitung gerade gängiger Bilder und Kunstmoden zu tun. Kommentare zum anbiedernden Erfolg oder zur neuen Wertschätzung der Photographie ab Mitte der 80er Jahre gingen ihm leicht von der Hand.

Malen, Objekte bauen oder Reinhard Mucha, Christopher Wool, Hans Haacke, Helmut Newton sein, das konnte Kippenberger alles auch. Und war er im Grunde nicht sogar seine eigene Geschlechterrolle? In diesem Rahmen wirkte der durchgehende Einsatz des eigenen Körpers, in Form entstellter, halbnackter oder hübscher Fotos von sich, wie ein Anker. Diese Mischung aus Hellmut Lange, Vladimir Majakowski und Ed O'Neill schien für diese Art der Selbstdarstellungen sogar besonders geeignet.

Aber der Spaß hatte immer zwei Seiten. Ich denke da an die oft so genannnten gezielten Provokationen, deren genüßliche Kolportagen ich noch mehr gehaßt habe als die Vorstellung, wie das im Original gewesen sein mochte. Für viele waren das harte Zeiten. Aber Kippenbergers Humor hat, jedenfalls in meinen Augen, trotzdem immer viel gerettet. Und so paradox das klingt, seine Arbeiten wirkten auf mich zeitweise durchaus vorbildhaft. Denn wer wäre das nicht gerne einmal: sowohl der Sand wie die Vaseline im System — den Unerträglichkeiten der bürgerlichen Welt romantisch mit überraschenden Einfällen, Extravaganz und Unflätigkeit, Zynismus oder Albernheit zu kommen.

Das Image des nonkonformistischen Großbürgerkünstlers hat sich seitdem niemand mehr angeheftet. Irgendwann war das vielleicht nur noch relikthaft, obwohl das ja nicht der Punkt ist. Der Punkt ist, daß erst durch den Tod alles erst wirklich relikthaft und, wie gesagt, historisch wird. An Selbstzerstörungs- und Ausbrennmythen braucht man sich deshalb aber nicht zu klammern. Niemand kann mir erzählen, Deutschland würde mit Fassbinder jetzt nicht anders aussehen. Schicksal möchte ich das ungern nennen, sondern bis zum Beweis des Gegenteils zitieren: Lieber nicht nach Hause schicken.

Manfred Hermes

Erschienen in: Spex Nr. 5, Mai 1997

Text von Cosima von Bonin und Michael Krebber

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